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"The Great Maddening" - CD



"Imperium Grotesque" - CD

SQUEALER ROCKS

„Grotesque Metal aus Luxemburg.“ Wie bitte? Nicht nur die Ottonormalmetaller dürften sich bei dieser, mit Verlaub gesagt, komischen Selbsttitulierung die Frage stellen, aufgrund welcher Tatsache man sich nun verwundert die Augen reiben muss. Die nirgends festgehaltene Genrebezeichnung oder der Umstand, dass wir es mit einer Band aus dem überschaubaren, in metallischer Hinsicht keine Akzente setzenden Luxemburg zu tun haben?

Die Differenzierung fällt einem sichtlich schwer, kann man doch beides in keinen, irgendwoher bekannten Kontext bringen. Demnach geht das gewappnete Probieren ausnahmsweise mal wieder über das Studieren. Wobei uns Letzteres mit den nötigen Zusatzinformationen versorgt. Und zwar treibt der neuerdings unter dem Banner Le Grand Guignol formierte Fünfer schon seit über zehn Jahren mehr oder weniger präsent sein Unwesen im mitteleuropäischen Underground. In Szenekreisen bekannt als Vindsvall veröffentlichten die vier Luxemburger und der lediglich als Live-Musiker zur Geltung kommende Deutsche bereits im Jahr 1999 ihr sagenumwobenes, in keine Schublade passen wollendes, Kabarett mit Extreme Metal kreuzendes Debüt IMPERIUM GROTESQUE, welches fortan auch als Anhaltungspunkt für die stilistische Selbstdefinierung zu Rate gezogen wurde. Stattliche acht Jahre später (es gibt also noch Hoffnung für AC/DC) meldet sich dieselbe Formation, wie eben geschrieben, mit einem neuen Namen und einem neuen, gereiften, weil jahrelang verfeinerten, Album zurück.

Ladys and Gentlemen, lassen Sie sich verzaubern von THE GREAT MADDENING, einem musikgewordenen, die Kluft zwischen Genie und künstlerischem Wahnsinn enger werden lassenden Schauspiel, bei dem alles erlaubt ist.

Wer das, gut und gerne auf Zirkusvorführungen ummünzbare, Intro „Cirqvs L.“ noch ganz verstohlen und diskret von der musikalischen Darbietung des Restmaterials distanzieren möchte, sieht sich wenig später in seiner, dem Denken der Allgemeinheit entsprechenden Annahme getäuscht. Dieser auf CD gepressten Wundertüte entgeht nichts und so entsteht ein völlig abgefahrener, hochexplosiver Cocktail, dessen Facettenreichtum selbst nach dem 20sten Durchlauf noch lange nicht erschöpft ist. Auf THE GREAT MADDENING gibt es immer wieder etwas Interessantes zu entdecken – und seien es lediglich kleine, aber feine Spielereien, die in das große Ganze verwoben wurden.

Macht man zu Beginn von „Degenesis (Amor & Seuche)“ noch klare Tendenzen zu Finntroll’s NATTFÖDD ausfindig, relativieren sich diese bereits im Verlauf des Liedes wieder. Denn Le Grand Guignol um den für die durchdachte, oftmals regieführende Orchestrierung zuständigen Yves Blaschette verlaufen sich nicht in der Sturheit des so genannten Humpa Metals, sondern spannen alleine in diesem achteinhalb Minuten langen Song den Bogen zu besinnlichen, wahlweise auch epischen Passagen, die Philip Breuers Growling vor der Monotonie bewahren. Angebrachte Vergleichsmöglichkeiten gleich Fehlanzeige. Die Vielfalt der verwendeten Elemente verlangt vom Hörer selbstredend eine Bereitschaft sich mit der Materie voll und ganz zu identifizieren. Im Vorbeigehen kann man mit THE GREAT MADDENING und den ständigen Instrumenten-, Tempo- und Stilwechseln nicht warm werden. Vielen wird das dann wohl doch zu chaotisch vonstatten gehen, so dass es letztlich nur zwei mögliche Schlussworte geben kann: Genial und... ähm... scheiße!

But, who cares? Mich nicht. Mit detaillierten Liedbeschreibungen von THE GREAT MADDENING könnten die gewitzten unter euch Romane schreiben, so viel geben diese 55 Minuten her. Dabei komme ich mir selbst schon schäbig vor, da man diese Platte, ob ihrer jede Mengenangabe sprengenden Opulenz, in einem Review nur oberflächlich behandeln kann.

Urplötzlich fallen auch mal Wörter wie Klassik, Kabarett und Black Metal à la Cradle Of Filth und Moonsorrow in einem Satz. Dabei muss man sich aber stets vor Augen führen, dass fiese, vom aufrichten Hörer Besitz ergreifen wollende Tracks wie „Dimension: Canvas“ oder „Madness And Her Thousand Young“ auf die triefenden Klischees der hiesigen Schwarzheimercombos einen gehörigen Scheißdreck geben. Plastischen Keyboardpathos und unsinnige Hyperblasts muss man woanders suchen. Die Instrumentenführung setzt im Hause Le Grand Guignol auf Wörter wie „subtil“ und „pedantisch“.
Jene kabarettistische, das Album immer wieder auf eine andere Art und Weise heimsuchende Korsettstange schaukelt sich in „Mens Insana In Corpore Insano“ gar so hoch, dass dieses rasante, den Boden unter den Füßen verlierende Tempo schlussendlich gar auf der Intensivstation (kein Witz!) endet.

Von dieser entfernen wir uns wieder und bringen lieber den Rest dieser gnadenlosen, ein i-Tüpfelchen nach dem anderen setzenden Scheibe in Erfahrung. Entgegen dem bisherigen Verlauf von THE GREAT MADDENING beheimaten das programmatisch betitelte „The Healing Process“, das zwischendurch auf eine weibliche Kopfstimme setzende „Finis Coronat Opus“ und das sehr kurze „I, Who Brought Forth Myself“ viele straighte, zum Headbangen einladende Teilstücke, mit denen sich die norwegische Black Metal Szene eigentlich selbst überflüssig macht. Was natürlich nicht heißt, dass Le Grand Guignol ihren ausgeschmückten, abrupte Kehrtwendungen nicht ausschließenden Pfad verlassen.

Dies gewährleistet das folgende, überaus hymnisch und pompös aus den Boxen schallende Instrumental „Alsuntia“, welches nach gerade mal zwei Minuten durch den fließenden Übergang in der Nummer „Lucilinburhuc“, die der gleichnamigen, um 963 entstandenen Felsenburg im luxemburgischen Stadtgebiet gewidmet ist, aufgeht. Dort schleichen sich klar erkennbare Blind Guardian (!) Chöre in ein sehr eloquentes, üppig orchestriertes, Wintersun-ähnliches Geflecht ein. Insbesondere dieser Wechsel vom aggressiven Shouting des Herrn Breuer zu den mehrstimmigen Gesängen erweist als das Mosaiksteinchen, das der Platte zur, wenig später von hochtrabenden Klängen abgeschlossenen, Vollkommenheit noch gefehlt hat.

Fazit: Für diejenigen, die diesen Satz lesen, gibt es von meiner Seite aus nur noch eines zu sagen: Legt euch diese vermaledeite Scheibe zu!

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